Das Hochstapler-Syndrom: Einfach nur Glück gehabt?

Neulich bei einem Skype-Meeting mit einem meiner (sehr erfolgreichen und mehrfach ausgezeichneten) Coaching-Kunden aus der Wissenschaft:

Ich: „Naja, es gibt ein Phänomen, bei dem die Betroffenen denken, dass sie hier eigentlich gar nicht richtig sind, nur durch Zufall diese Stelle bekommen haben, eigentlich noch nicht gut genug sind und nicht dazugehören, weil sie nicht können und wissen, was die anderen wissen. Sie versuchen vor den Kollegen und Vorgesetzten zu verheimlichen, dass sie nicht so gut und clever sind wie die anderen - Immer in der Hoffnung, dass keiner merkt, was in Ihnen vorgeht und dass sie gar nicht hier sein dürften.“

Er: „hmmm, ja…Das denke ich eigentlich die ganze Zeit von mir.“

Damit ist er kein Einzelfall.

 

Was ist das Hochstapler-Syndrom?

Die gute Nachricht: ist es keine psychische Erkrankung. Mein Kunde ist vollkommen „normal“. Und wenn mehr Menschen offen darüber sprechen wollten und könnten, dann würden wir feststellen, dass die meisten Menschen dieses Gefühl kennen. Wenn sie z.B. eine Aufgabe übernehmen, in der sie noch keine Erfahrung haben und auch nicht so genau wissen, wie sie dieses „Neue“ nun angehen sollen, dann können sie das fühlen. Und das ist vollkommen ok in diesen Situationen. Schwierig wird es erst, wenn die Phase kein Ende findet. Forschungen dazu haben Ende der 70er Jahre begonnen und wurden zunächst von Pauline R. Clance und Suzanne Imes an leistungsstarken Frauen durchgeführt.

Ein Hochstapler ist im Grunde eine Person, die vorgibt bestimmte Kompetenzen zu haben, ohne die notwendige Qualifikation tatsächlich erworben zu haben. Ein Beispiel wären Personen, die sich als Ärzte ausgeben, aber niemals Medizin studiert, geschweige denn die Approbation erhalten haben. Immer mal wieder in den Schlagzeilen zu lesen oder auch sehr schön illustriert im Film: Catch me if you can, in dem Leonardo di Caprio einen großartigen Hochstapler mimt, der es sogar schafft, sich als Pilot auszugeben, obwohl er eigentlich noch die High-School besucht.

Jemand, der vom Hochstapler-Syndrom betroffen ist, hat dagegen sämtliche Qualifikationen, für die er Zeugnisse besitzt, tatsächlich selbst als Leistungsnachweise erworben. Formal juristisch vollkommen korrekt - nur fühlt er sich nicht so. Im Englischen sagt man auch „you don’t own it yet“ – Dein Erfolg gehört Dir irgendwie noch nicht.

Symptome: wie zeigt sich das Hochstapler-Syndrom?

Das eigentliche Problem beim Hochstapler-Syndrom ist die Diskrepanz von Selbstbild und Fremdbild. Die Betroffenen schätzen sich und ihre Kompetenzen wesentlich negativer ein als Vorgesetzte und Kollegen. Sie denken, sie hätten recht mit Ihrer Einschätzung und versuchen dann diesen wahrgenommenen „Mangel“ zu verstecken und zu kompensieren, z.B. mit enorm viel Arbeit, mit der Bereitschaft, sich über die Maßen anzupassen, so dass sie gar nicht mehr sie selbst sind, etc . Das hat dann auch zur Folge, dass sie sich kaum über ihre Erfolge freuen können, denn sie haben sich aus ihrer Sicht irgendwie “durchgemogelt“. Eigentlich steht ihnen dieser Erfolg nicht zu. Wieder mal Glück gehabt.

Sie haben die Idee, dass erfolgreiche Menschen keine oder kaum Selbstzweifel kennen. Wenn wir also erst den Titel, den Job, die Professur, die Zulassung, die Mitgliedschaft, jenes Einkommen, etc. haben, dann werden wir uns plötzlich besser fühlen, dann gehören wir dazu. Das ist aus meiner Coaching-Erfahrung ein Irrglaube, denn dieses Gefühl löst sich nicht plötzlich in Luft auf. Man kann es bearbeiten, es anhand der Realität überprüfen, sich Strategien erarbeiten, lernen damit umzugehen und damit zu leben.

Und daran arbeite ich jetzt im Coaching mit dem Kunden.

Für alle, die Interesse haben und mehr wissen wiollen, kommen hier noch ein paar weiterführende Infos, Tests, und ein guter TED-Talk:

Ein Freund (thanks Herb) hat mich auf diesen TED-Talk von Mike Cannon Brookes aufmerksam gemacht. Der Australier ist Co-CEO und –Gründer von Atlassian. Er hat mehrere Auszeichnungen als Unternehmer des Jahres, IT Professional des Jahres etc. erhalten und spricht dort über sein Hochstapler-Syndrom und wie er damit umgeht. Was Mike Cannon-Brookes am Ende sagt: Keine Ahnung, wie man das Hochstapler-Syndrom hinter sich lässt, ABER er weiß, wie er damit umgeht: Be aware. Don’t freeze. Harness the situation and put out something genuinely good.

Der Test von Pauline R. Clance online: https://paulineroseclance.com/pdf/IPscoringtest.pdf auf Englisch mit Selbstauswertung.

Klinkhammer, M. & Soprun, G. (2009) haben Erklärungsansätze vor allem für den Wissenschaftlichen Bereich herausgearbeitet. Am Ende der Veröffentlichung findet sich auch die deutsche Version des Hochstapler-Tests zur Selbstauswertung.

Welche Auswirkungen das Hochstapler-Syndrom auf die Karriere haben kann führt M. F. R. Kets de Vries (2009) im Harvard Business Review anschaulich aus: The dangers of feeling like a fake.

Viel Spass und vielleicht Selbsterkenntnis beim Lesen!